11.01.2025

Rio und die Rasseliste

Im Juli ging eine Nachricht durch Deutschland, die vor allem Tierschützer aufhorchen ließ : Brandenburg hat die seit 2004 bestehende Rasseliste abgeschaft.

Die zentrale Botschaft der Pressemitteilung war klar : Die Gefährlichkeit eines Hundes lässt sich nicht pauschal an seiner Rasse festmachen. Stattdessen sollen zukünftig nur individuelle Auffälligikeiten eine Hundes darüber entscheiden, ob er als gefährlich eingestuft wird.

Trotz dieser Entwicklung gibt es in elf von 16 Bundesländern weiterhin eine Rasseliste, darunter auch Nordrhein-Westfalen. Diese Listen wurden in den späten Neunziger- und frühen 2000er- Jahren eingeführt, nachdem es mehrere schwerwiegende Vorfälle mit aggressiven Hunden gegeben hatte, einige davon mit tödlichem Ausgang.

In NRW sind diese Listen im Landeshundegesetz (LHundG) verankert und teilen Hunde in zwei Kategorien ein : 
die sogenannten gefährlichen Hunde ( §3) und Hunde bestimmter Rassen (§10).
Zu den Rassen der ersten Kategorie zählen der Pitbull, der American Staffordshire Terrier, der Bullterrier und der Staffordshire Bullterrier. 
Bei diesen Rassen wird per se eine Gefährlichkeit vermutet und die Haltung unterliegt deshalb strengen Auflagen. 
Hunde der zweiten Kategorie, darunter Rottweiler, werden als bestimmte Rassen klassifiiziert, für deren Haltung ebenfalls besondere Regelungen gelten.

Ein wichtiger Unterschied ist, dass Hunde der Kategorie 1 einem Zuchtverbot unterliegen und für die Anschaffung ein besonderes privates oder öffentliches Interesse vorliegen muss. 

Ein Hund wie Rio, der bereits seit fast zwei Jahren im Tierheim Rote Erde lebt, verdeutlicht, warum die Diskussion um Rasselisten so komplex ist.
Rio ist ein American-Staffordshire-Labrador-Mix und gehört damit zu den Rassen ( und Kreuzungen ), die auf vielen Rasselisten stehen.
Er zeigt manchmal unsicheres Verhalten und kann, wenn er eine Situation als bedrohlich einschätzt, nach vorne gehen, um seine Menschen zu beschützen.
Doch was viele nicht sehen : Hinter dieser Unsicherheit steckt ein liebenswerter Hund, der mit der richtigen Erziehung und angebrachter Konsequenz ein wunderbarer Begleiter sein kann.

Interessanterweise war auch Rios kleine Schwester einige Zeit im Tierheim Rote Erde. Im Gegensatz zu ihm, war sie jedoch noch ein unbeschriebenes Blatt - ein junger Hund ohne ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten. Sie wurde schnell vermittelt und hat mittlerweile erfolgreich den Wesenstest bestanden, was zeigt, dass selbst Hunde derselben Rasse, ja sogar mit den selben Elterntieren, völlig unterschiedliche Entwicklungen nehmen können. 
Es verdeutlicht, dass die Rasse eines Hundes nur ein Bruchteil seines Verhaltens bestimmt, während die Erziehung und das Umfeld eine entscheidene Rolle spielen.

Viele Hunde im Tierheim, egal ob Listenhund oder nicht, zeigen ähnliche Verhaltensmuster wie Rio, wenn sie sich unsicher fühlen oder keine klare Grenzen haben. Es zeigt sich immer wieder, dass es nicht alleine die Rasse ist, die einen Hund gefährlich macht, sondern vor allem die Umstände, in denen er lebt, wie er erzogen wird und welche Erfahrungen er im Laufe seines Lebens macht.

Diese Beobachtungen werfen die Frage auf, ob es sinnvoll ist, Hunderassen pauschal zu stigmatisieren, anstatt jeden Hund individuell zu bewerten.
Ja, ein Hund wie Rio braucht eine klare Führung und jemanden, der sich der Verantwortung bewusst ist, einen Hund mit Schutzinstinkt zu halten. Doch ist er deshalb gefährlicher als andere Hunde, die ähnliche Verhaltensweisen aufzeigen, aber nicht auf einer Rasseliste stehen ?

Die Abschaffung der Rasseliste in Brandenburg war ein Schritt in die richtige Richtung, hin zu einer differenzierteren Betrachtung von Hunden. Doch dies bedeutet nicht, dass jeder für einen Hund wie Rio geeignet ist. Es bleibt die Frage, ob ein bullartiger Terrier die richtige Rasse für einen ist. Ähnlich wie bei Jagdhunden, Hütehunden oder Herdenschutzhunden müssen potenzielle Halter sich bewusst fragen : Habe ich das Wissen, die Erfahrung und die Geduld, um einem solchen Hund gerecht zu werden ? 

Jeder Hund, egal welche Rasse, bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich - entscheidend ist, dass man diesen gerecht wird und Verantwortung übernimmt.

Text : Theresa Schlepphorst ( Ausschnitt aus der aktuellen Ausgabe Schnauze mit Herz, 2/2024 )